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Thementour mit Start in der Stiftung Scheuern: Radsportler begeben sich auf Spuren des Unrechts der NS-Zeit


„Das Unrecht hat überall stattgefunden“, sagt Hendrik Hering. In nahezu jeder Gemeinde in Rheinland-Pfalz sei während der Zeit des Nationalsozialismus Juden, Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung, Homosexuellen und anderen Unrecht zugefügt worden. Auch an den Stationen einer Erinnerungstour, die 15 Radsportler der Equipe EuroDeK jetzt an zwei Tagen angesteuert haben, deren Schirmherrschaft der Präsident des rheinland-pfälzischen Landtags übernommen hat.

Ausgangspunkt der insgesamt 176 Kilometer langen Fahrradtour war die Stiftung Scheuern in Nassau. Scheuern diente ab 1941 als sogenannte Zwischenanstalt. Von dort wurden mehr als 1000 Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in die Tötungsanstalt nach Hadamar gebracht und dort ermordet. Am Mahnmal zur Erinnerung der Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen schickten Pfarrer Gerd Biesgen, Theologischer Vorstand der Stiftung, und Hendrik Hering die Radsportler auf die Reise, die zunächst zur Gedenkstätte Hadamar führte.

Die Equipe, die aus Radfahrern der Vereine RSV Oranien Nassau und RSG Montabaur besteht, engagiert sich seit Jahrzehnten für die Völkerverständigung in Europa, für Demokratie und für Klimaschutz. „Wir verbinden unsere Aktivitäten so oft es geht mit diesen Themen“, erläuterte Initiator Uli Schmidt beim gemeinsamen Frühstück im Bistro der Stiftung Scheuern. Mit Scheuern, Hadamar und Weilmünster standen Orte, die unmittelbar mit den „Euthanasie“-Morgen in Zusammenhang stehen, auf dem Etappenplan. Auch Weilburg und Hachenburg steuerten die Radsportler an, um sich von Experten informieren zu lassen, welche Gräueltaten dort im Namen des Nationalsozialismus begangen worden waren. „Das Thema für unsere Fahrt lag angesichts des aktuellen Aufschwungs des Rechtspopulismus auf der Hand“, sagt Uli Schmidt. An der Vergangenheit erkenne man, was geschehen könne, wenn solchen Entwicklungen nichts entgegengesetzt werde.

Die Bedeutung der Erinnerungsarbeit betonte Hendrik Hering im Dialog mit den Equipe-Mitgliedern beim gemeinsamen Frühstück in der Stiftung Scheuern. Es sei wichtig, für die Demokratie zu werben und zu begeistern. Ein Drittel der Menschen in Deutschland kenne heute den Zusammenhang von „Euthanasie“ und der NS-Zeit nicht; eine knappe Mehrheit sei der Meinung, man müsse einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit ziehen. Gerade junge Menschen wüssten zu wenig über die Verbrechen im Nationalsozialismus. Positiv sei aber, dass viele von ihnen sehr interessiert sind, mehr zu erfahren.

Der Landtagspräsident wies auf eine personelle Verbindung zwischen dem Radsport und der Ermordung von Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung hin. An der Spitze des Verbandes, der sich in vorauseilendem Gehorsam gleich nach Machtübernahme der Nationalsozialisten selbst gleichgeschaltet hat, stand ab 1938 Viktor Brack. Zugleich bekleidete er eine hohe Position in der Kanzlei des Führers und spielte eine zentrale Rolle in der Organisation und Durchführung der Aktion „T4“, bei der 1940 und 1941 Tausende von Menschen mit Beeinträchtigung ermordet wurden. „Er war ein Massenmörder“, sagte Hendrik Hering.

Der Landtagspräsident überreichte den Radsportlern das Buch „Mut zur Demokratie. Nicht zuschauen, sondern handeln“. Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass die meisten Deutschen die Demokratie für die beste Staatsform halten, es aber auch die falsche Vorstellung gebe, dass Demokratie die Herrschaft der Mehrheit sei. „Aber wo bleiben dabei eine unabhängige Justiz und der Schutz von Minderheiten?“

UIi Schmidt, der die Thementour gemeinsam mit Stefan Behnke geplant hat, sagte: „Demokratie lebt von aktiven Demokraten.“ Deshalb widme sich die Equipe EuroDeK passenden Themen und trage sie in die Öffentlichkeit. Ein Teilnehmer beklagte, dass die Debattenkultur verkommen sei. „Egal ob rechts oder links, man haut sich die Dinge nur noch gegenseitig um die Ohren und setzt sich nicht mehr argumentativ mit Themen auseinander“, sagte der Radsportler. Einig war man sich, dass die Sozialen Medien diese Entwicklung begünstigen, weil dort weitgehend ungehindert Hass und Hetze sowie Unwahres verbreitet werden können. Landtagspräsident Hendrik Hering folgerte: „Wir müssen lernen, auch Menschen zu respektieren, die in unseren Augen abstruse Meinungen vertreten.“

Pfarrer Gerd Biesgen, Theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern, und Schirmherr Hendrik Hering, Präsident des rheinland-pfälzischen Landtags, stehen mit den Radsportlern der Equipe EuroDeK am Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen.