Rund 60 Vertreter aus den Bereichen Medizin, Pflege, Reha, Therapie, Beratung und Eingliederungshilfe nahmen an der Auftaktveranstaltung am Mittwoch, 19. November, in Vallendar teil. Ihr gemeinsames Ziel ist ein lückenloses Versorgungsnetz für Betroffene von der akutmedizinischen Versorgung über die Rehabilitation bis hin zur langfristigen Begleitung im Alltag. Im ersten Schritt soll die Vernetzung der bereits bestehenden Angebote dazu führen, dass Menschen mit erworbener Hirnschädigung besser begleitet werden, damit ihr Weg zurück ins bisherige Leben bestmöglich gelingt. Doch die Initiatoren des Netzwerks haben sich weitergehende Ziele gesteckt.
„Es gibt Lücken in der langfristigen Versorgung von Menschen mit erworbener Hirnschädigung”, sagte Dr. Guido Ketter, Ärztlicher Direktor der BDH-Klinik Vallendar, bei der Auftaktveranstaltung. Diese wolle man gemeinsam ausfindig machen und nach Möglichkeit schließen. Zudem sollen Projekte, Kooperationen und Fortbildungen ins Leben gerufen werden. Auf digitalem Weg will man dafür sorgen, dass Informationen über Angebote und Hilfen für Betroffene und Angehörige schnell auffindbar werden. Auch ein regelmäßiger fachlicher Austausch ist vorgesehen. Für 2026 ist deshalb ein Fachtag geplant.
„Heute ist ein besonderer Tag für die neurologische Versorgung in unserer Region, für die interdisziplinäre Zusammenarbeit und vor allem für die Menschen, die auf verlässliche, wohnortnahe und hochwertige Versorgung angewiesen sind“, sagte Bernd Feix, Pädagogischer Vorstand der Stiftung Scheuern. Er zeigte sich überwältigt von der großen Resonanz auf die Einladung. Wenn das Netzwerk seine Ziele erreiche, schaffe man einen Mehrwert für Betroffene und ihre Angehörigen. „Unsere Erfahrungen zeigen: Der Idealfall ist das vernetzte Zusammenwirken aller am Rehaprozess beteiligten Disziplinen.“ Die Leitende Ärztin der Neurologische Therapie Rhein-Ahr, Dr. Elke Vespo, zeigte sich überzeugt, dass man durch engere Vernetzung eine bessere Versorgung erreichen werde. Sie motivierte die Netzwerkpartner, einander und das jeweilige Leistungsspektrum kennenzulernen.
Mit der Gründung des Neuronetzwerks nördliches Rheinland-Pfalz wollen die Stiftung Scheuern, die BDH-Klinik Vallendar und die Neurologische Therapie RheinAhr die Versorgung von Menschen mit erworbener Hirnschädigung neu denken. Dabei orientiert man sich Bernd Feix zufolge an erfolgreichen Vorbildern in den Regionen Köln-Bonn und Weser-Ems. Auch Lobbyarbeit für Betroffene und ihre Angehörigen gehöre zu den Aufgaben des Netzwerks. Man wolle die politischen Akteure für die Bedürfnisse von Menschen mit erworbener Hirnschädigung sensibilisieren. „Ohne Anerkennung der spezifischen Bedarfe fehlt die notwendige Finanzierung spezialisierter Angebote“, sagte Bernd Feix.
Koordiniert wird die Arbeit des Neuronetzwerks von der Inklusa gGmbH in Bad Ems. Die Tochtergesellschaft der Stiftung Scheuern unterhält auf Basis einer fünfjährigen Projektförderung durch die Aktion Mensch den NeuroKompass, eine Anlauf- und Beratungsstelle für Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Vernetzung von Akteuren.
Eine wichtige Rolle bei der Gründung des Neuronetzwerks nördliches Rheinland-Pfalz spielte der Neurologe Dr. Paul Reuther (Bad Neuenahr-Ahrweiler). Er stand im Vorfeld im engen Austausch mit Bernd Feix und stellte den Kontakt zu den beiden anderen Initiatoren, Dr. Elke Vespo und Dr. Guido Ketter, her. „Um an die kleine Welt der Fachleute zu kommen, die an Vernetzung und Zusammenarbeit interessiert sind, braucht es einen Brückenbauer, wie Sie einer sind“, sagte Feix und dankte Dr. Reuther für sein Engagement.
Wie bedeutend ein Netzwerk an Nachsorgeangeboten ist, damit Betroffene bestmöglich in ein selbstbestimmtes Leben zurückfinden, machte Dr. Claudia Niederer deutlich. Vor sechs Jahren erlitt die Ärztin und damalige Leiterin eines Gesundheitsamts einen Schlaganfall. „Ich konnte nicht mehr laufen, ich konnte nicht mehr sprechen“, sagte sie. All das musste sie wieder erlernen. Dr. Claudia Niederer benannte mehrere Dutzend Akteure, die sie nach der Akutversorgung im Krankenhaus auf diesem Weg begleitet haben. „Das ist mein persönliches Neuronetzwerk“, sagte sie. Für Betroffene und Angehörige sei es aber oft schwer, die passenden Hilfen und Ansprechpartner zu finden. In ihrem Fall gelang der Weg zurück in ein weitgehend selbstständiges Leben. Dennoch bleiben Einschränkungen. Als Ärztin könne sie nicht mehr arbeiten und ihre Konzentrationsfähigkeit sei nach höchstens drei Stunden erschöpft. „Ich führe jetzt ein anderes Leben als früher; nicht unbedingt schlechter, aber eben anders.“ Mittlerweile hält Dr. Claudia Niederer regelmäßig Vorträge für Betroffene und Angehörige in der BDH-Klinik Vallendar.
Ein weiterer Impuls kam von Kathrin Georg (Stiftung Scheuern), Neuropsychologin in Ausbildung. Sie berichtete, welche Bedeutung ihr Fachgebiet in der Eingliederungshilfe hat. Menschen mit erworbener Hirnschädigung seien sehr häufig von neuropsychologischen Einschränkungen betroffen. Diese könnten sehr unterschiedlich ausfallen. Die Auswirkungen von massiv reduzierter Aufmerksamkeit oder eingeschränkter Gedächtnisleistung seien für Außenstehende schwer erkennbar. Über- oder Unterforderung und Missverständnisse führten zu Frustration bis hin zu Aggression. „Man muss genau hinschauen, wen man wie unterstützen kann“, sagte Kathrin Georg. Die Neuropsychologie helfe auch, Fortschritte oder Abbauprozesse zu erkennen und die Betreuung entsprechend anzupassen.
