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Mehr als 400 Teilnehmer bei Gedenkveranstaltung für Euthanasieopfer


Mehr als 400 Interessierte nahmen am 27. Januar an der Veranstaltung auf dem Nassauer Marktplatz teil, mit der die Stiftung Scheuern, die Pfarrei St. Martin Bad Ems-Nassau und die Evangelischen Kirchengemeinden Nassau, Dornholzhausen und Schweighausen 1500 Menschen mit Behinderung gedachten, die während des Nationalsozialismus aus der damaligen Zwischenanstalt Scheuern deportiert und ermordet wurden.

Es regnete und war ungemütlich, aber davon ließen sie sich nicht abhalten: Mehr als 400 Interessierte nahmen am 27. Januar an der Veranstaltung auf dem Nassauer Marktplatz teil, mit der die Stiftung Scheuern, die Pfarrei St. Martin Bad Ems-Nassau und die Evangelischen Kirchengemeinden Nassau, Dornholzhausen und Schweighausen 1500 Menschen mit Behinderung gedachten, die während des Nationalsozialismus aus der damaligen Zwischenanstalt Scheuern deportiert und in den Tötungsanstalten Hadamar bei Limburg und Pirna in Sachsen ermordet wurden. „Menschen mit Behinderung wurden ihres Lebens beraubt, weil sie nicht passten zu dem Bild vom starken, gesunden, deutschen Arier. Man nannte sie Ballastexistenzen. Nahezu 1500 Menschen haben damals dieses Schicksal erlitten. Wir dürfen und wollen sie nicht vergessen“, sagte Pfarrer Gerd Biesgen, Direktor der Stiftung Scheuern, in seiner Begrüßung – und schlug die Brücke in die Gegenwart. „Heute hier in Nassau sind viele Menschen zusammengekommen, weil wir in besonderer Weise sagen wollen: Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten hinein in diese Gesellschaft, mitten hinein auch nach Nassau und in unsere Region“, betonte er. „Menschen mit Behinderung sind unverzichtbarer Teil der menschlichen Gemeinschaft. Behindert ist, wer das nicht erkennt oder nicht wahrhaben will.“

Das Thema Zivilcourage stand im Mittelpunkt des Grußwortes von Stadtbürgermeister Armin Wenzel. Er berichtete von einem Schülerprojekt, das er als Lehrer am Bad Emser Goethe-Gymnasium leitete: „Vor dem Hintergrund der Sammeltransporte interessierte uns die Frage: Hat denn niemand geholfen? Hat niemand versucht, Totgeweihte zu retten?“ Doch, es gab vereinzelt mutige Menschen. Exemplarisch nannte Armin Wenzel Bauer Dupp aus Hömberg, der unter hohem Risiko für sich selbst einen Scheuerner Zögling bei sich aufnahm und damit dem Zugriff der NS-Verbrecher entzog. „Zivilcourage bedeutet auch für uns heute, Schwächeren beizustehen“, schloss Wenzel.

Lore Arnold, eine heute 79-jährige Bewohnerin der Stiftung Scheuern, die die Gräueltaten der Nazis als Kind miterlebte, schilderte ihre Eindrücke von damals. „Ich möchte  mahnen, dass so etwas Schreckliches nie mehr geschehen darf“, sagte sie. „Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Menschen leben können – so, wie der liebe Gott sie gemacht hat. Dafür müssen wir uns alle gemeinsam einsetzen.“

Sehr greifbar wurde das unfassbare Geschehen auch durch einen Bericht Erwin Hennemanns. Der Hömberger stieß im Rahmen einer Familienforschung auf das Schicksal seiner Tante Karoline Susanne,  die laut Sterbeurkunde in der Heil- und Sterbeurkunde Bernburg an der Saale an einem Hirnschlag verstorben war. Hennemann fand heraus, dass diese Angaben gefälscht waren – in Wahrheit war seine Tante, die 31 Jahre lang in Scheuern gelebt hatte, in Hadamar ermordet worden. „Wir hatten unser Auschwitz direkt vor der Tür!“, resümierte er.

Ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen setzten zudem Konfirmanden der Evangelischen Kirchengemeinden Dornholzhausen und Schweighausen sowie Firmanden der Katholischen Kirchengemeinde Bad Ems/Nassau: Sie lasen Auszüge aus Biografien und Briefen ermordeter Menschen vor, die einst in Scheuern gelebt hatten und ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert waren. Zeitgleich waren die Bildnisse dieser Menschen auf einer Leinwand am Tor des Stein’schen Schlosses zu sehen.

Wolfgang Dorr, Gabbai der jüdischen Gemeinde Neuwied, sprach ein Kaddisch, ein Totengebet, in hebräischer und deutscher Sprache. Dann kam der wohl bewegendste Moment: Die Lichterpaten – unter ihnen auch zahlreiche Konfirmanden der Evangelischen Kirchengemeinde Nassau,  Vertreter der Stiftung Scheuern sowie Bewohner und Mitarbeiter der Stiftung Scheuern – ließen nach und nach die 1500 Lichter aufleuchten und trugen sie  in die Mitte des Platzes, wo sie sich zu einem Lichtermeer vereinten. Jugendliche sprachen Fürbitten für alle benachteiligten, schwachen und aus der Gesellschaft ausgegrenzten Menschen – und schlugen damit eine Brücke in die Zukunft. Nach dem gemeinsamen Vaterunser aller Teilnehmer schloss diese beeindruckende Gedenkveranstaltung, die musikalisch vom Chor der Stiftung Scheuern sowie dem mit Gitarrenbegleitung gesungenen Lied „Halleluja“ umrahmt wurde.