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Aktuelles

Flüchtlingshilfe: Alltagskompetenzen stehen im Mittelpunkt


Seit Mitte Februar betreut die Stiftung Scheuern im Carl-Ninck-Haus auf dem Lahnberg zunächst 16, dann 20 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan, unter ihnen den 18-jährigen Shakir Sufizada (Foto) - ein Engagement, das bald zu Ende geht.

Es war ein Kraftakt: In nur anderthalb Wochen schafften es Martina Weimer, Mitarbeiterin der Stiftung Scheuern, und ihre Mitstreiter, das leerstehende, frisch renovierte Carl-Ninck-Haus auf dem Nassauer Lahnberg zu möblieren und Personal für die Betreuung der Jugendlichen an Land zu ziehen. „Am 3. Februar waren wir im Kreishaus, um die Einzelheiten zu besprechen. Am 15. Februar ging es los“, erinnert sie sich. „Die Kürze der Zeit hat uns in der Tat vor eine Herausforderung gestellt.“

Kurzer Blick zurück: Ende Januar hatten Landrat Frank Puchtler und das Jugendamt der Bad Emser Kreisverwaltung die Stiftung Scheuern gebeten, Räumlichkeiten für zunächst 16, im späteren Verlauf dann 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Afghanistan zur Verfügung zu stellen, die nicht mehr in ihrer vorherigen Unterkunft im Familienferiendorf Hübingen bleiben konnten. In Windeseile hatte man ein pädagogisches Betreuungskonzept auf die Beine gestellt, Personal akquiriert, Deutschunterricht organisiert und, und, und… – kurz: all die Dinge geregelt, die es in einem solchen Fall eben zu regeln gilt.

Wie hat sich die Situation in der Zwischenzeit entwickelt? Mit welchen positiven Aspekten oder auch Schwierigkeiten geht die Arbeit mit den afghanischen Flüchtlingen einher? „Mittel- und längerfristiges Ziel unserer Betreuung ist es, dass die Jugendlichen selbstständig werden“, erklärt Lara Doll, die pädagogische Leiterin. „Dazu gehört zum Beispiel, dass sie den Umgang mit Geld lernen.“ Aber auch andere Alltagskompetenzen wie Kochen, Kleider- und Lebensmitteleinkauf oder Saubermachen gehören dazu. „Wir versuchen, jeden an seiner eigenen Verantwortung zu packen“, sagt Martina Weimer, die bei der Stiftung Scheuern die Flüchtlingsarbeit koordiniert und bei dieser Aufgabe von Ralph Wick, Fachbereichsleiter Wohnen bei der Stiftung Scheuern, und Bernd Feix, dem Leiter des Geschäftsbereichs Behindertenhilfe, unterstützt wird. Insgesamt 15 Fachkräfte kümmern sich vor Ort um die 15- bis 18-Jährigen. „Die Kolleginnen und Kollegen zeigen dabei sehr viel Engagement“, lobt Martina Weimer. „Zum Teil sind sogar ehemalige Mitarbeiter, die schon in Rente waren, zurückgekommen.“

Logisch, dass es den Jugendlichen auch nicht anders als erwachsenen Flüchtlingen geht: Gute Deutschkenntnisse sind das A und O, um hierzulande Fuß zu fassen. Mit Peter Siegburger, der die afghanische Landessprache Farsi spricht, ist der Stiftung Scheuern in diesem Zusammenhang ein Glücksgriff gelungen: Bis zu den Osterferien hat er täglich in drei Leistungsgruppen Deutschunterricht gegeben. Jetzt, wo die Flüchtlinge je nach Alter entweder die Realschule plus Bad Ems Nassau oder die Berufsbildende Schule Diez besuchen, ist dieser Pflichtunterricht in ein freiwilliges Angebot übergegangen.

Dazu kommen kreative Angebote wie Nähen oder Malen, aber dank des Engagements mehrerer Vereine und Institutionen auch Aktivitäten außer Haus. So kicken einige der Jugendliche aus dem Carl-Ninck-Haus im Horbacher oder Dausenauer Fußballverein, andere haben am Probetraining bei der TuS Koblenz teilgenommen.  Ob es die Polizei Bad Ems mit ihrem Verkehrssicherheits- und Radfahrtraining, die Freiwillige Feuerwehr Nassau mit der Brandschutzerziehung oder die Türkisch-islamische Gemeinde in Nassau ist, die die jungen Afghanen zum Ramadan einlud – sich selbst überlassen bleibt jedenfalls keiner.

Ob die 15- bis 18-Jährigen von der Flucht traumatisiert sind? „Dieser Begriff wird leider viel zu inflationär gebraucht“, findet Martina Weimer. „Wichtig ist, auf den Einzelfall zu schauen. Meist geht es um eine Verarbeitung der Fluchterlebnisse, ohne dass es sich gleich um eine Traumatisierung handelt.  Wenn es sich ergibt, führen wir dann mit den Jugendlichen Einzelgespräche darüber – oder besser gesagt: Wir hören ihnen zu, wenn sie davon erzählen möchten. Bei deutlichen Hinweisen auf eine Traumatisierung müssen aber entsprechend ausgebildete Fachkräfte hinzugezogen werden.“

Eines habe ihnen im Vorfeld Sorge bereitet, räumen Lara Doll und Martina Weimer ein: „Wir haben uns gefragt, wie das klappen wird, wenn die Jugendlichen inmitten von Menschen mit Beeinträchtigung sind. Aber von einer Ausnahme vielleicht abgesehen, zeigen die Jungs zum Glück keinerlei Berührungsängste.“  Zwei der jungen Afghanen haben in den Werkstätten für behinderte Menschen der Stiftung Scheuern Praktika absolviert – darunter der 18-jährige Shakir Sufizada (Foto), der im vergangenen Herbst über die Balkanroute nach Deutschland kam. Er hat 14 Tage lang in der Schreinerei der Stiftung mitgearbeitet und sammelt inzwischen dreimal in der Woche als Helfer eines Koblenzer Schreiners Erfahrung. Sein Traum ist es, eine Ausbildung zum Schreiner zu machen – wozu er erstens einen positiven Asylbescheid und zweitens einen deutschen Schulabschluss braucht. Auch wenn Shakirs Deutschkenntnisse zugegebenermaßen noch ausbaufähig sind, er zwar viel versteht, sich aber noch nicht so recht zu sprechen traut: „Er hat in meinen Augen eine sehr gute Prognose, weil er arbeitswillig und handwerklich extrem begabt ist“, sagt Peter Siegburger, Mitarbeiter der Stiftung Scheuern. Was der junge Mann, der demnächst mit einem syrischen und einem eritreischen Flüchtling zusammen in Koblenz eine eigene Wohnung beziehen wird, an Deutschland schätzt und was er vielleicht, im Gegenteil, hier vermisst? „Meine Familie fehlt mir“, antwortet Shakir. „Aber sonst gefällt es mir sehr gut in Deutschland. Hier kann ich in Ruhe leben und arbeiten.“

Umziehen werden demnächst übrigens auch die anderen Flüchtlinge aus dem Carl-Ninck-Haus: Das Bad Emser Jugendamt hat entschieden, dass die meisten von ihnen nach rund einem halben Jahr bei der Stiftung Scheuern in einem von der Hephata Diakonie betriebenen Haus in Diez leben werden.