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Aktuelles

„Wumms“ in der Behindertenhilfe nötig


Personalsituation beim Fachtag für Betreuer*innen und Angehörige der Stiftung Scheuern im Vordergrund

Am 12. November 2022 hatte die Stiftung Scheuern gesetzliche Betreuer*innen und Angehörige in die Werkstätten der Langauer Mühle eingeladen. Rund 125 Personen, darunter auch Mitarbeitende, Bewohner und Beschäftigte, waren der Einladung gefolgt. Bestimmendes Thema des Tages, das von vielen Richtungen aus beleuchtet wurde, war die Arbeitssituation von Arbeitnehmer*innen in der Behindertenhilfe und in deren Folge insbesondere die Situation der Klient*innen.

Neben der Berichterstattung zur Situation der Stiftung Scheuern im Allgemeinen, dem Fachbereich Wohnen und den Werkstätten im Besonderen, standen auch eine Impulsrede von Landrat Jörg Denninghoff sowie die Wahlen zum Betreuerrat auf dem Programm. Im Anschluss öffneten die Werkstätten ihre Türen, um einen Einblick in die Arbeitsleistung von Menschen mit Behinderung und in das Spektrum der Werkstätten zu geben und damit auch den 40. Geburtstag des Standorts im Mühlbachtal zu feiern.

Unmissverständlich forderten sowohl Pfr. Gerd Biesgen als Vorstandssprecher der Stiftung Scheuern als auch Dr. Elisabeth Schmitt als Vorsitzende des noch amtierenden Betreuerrats eine Übereinstimmung von gesetzlich verbrieften Rechten von Menschen mit Behinderung und reellen Möglichkeiten, diesen auch gerecht zu werden. Schon 2009 sei mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik, deren Ausfluss ins Bundesteilhabegesetz BTHG und die Ausformung auf Landesebene im LWTG, d. i. das Landeswohn- und -teilhabegesetz, die gesetzliche Grundlage, die einen personenzentrierten Ansatz von Leistungen für Menschen mit Behinderungen vorschreibt, zwar vorhanden, jedoch würden nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt, dass die Einrichtungen diesem Auftrag nachkommen könnten. Das Auseinanderklaffen von Realität und Gesetzeslage zeigten Biesgen und Schmitt deutlich auf. Nicht nur, aber auch werde dies deutlich beispielsweise an dem Unterschied, dass von Arbeitnehmer*innen der Eingliederungshilfe zwar wie alle anderen im Gesundheitswesen mit einer Impfpflicht belegt worden waren, ihnen jedoch die Anerkennung sowohl in der bewussten Mitnennung als auch in der finanziellen Wertschätzung durch den Corona-Bonus verwehrt blieb.

Der Spagat zwischen politischem und gesellschaftlichem Auftrag, dem eigenen Anspruch, einen echten inklusiven Umgang mit Menschen mit Behinderung zu pflegen, der entgegengebrachten Wertschätzung und der angemessenen Entlohnung samt familienfreundlicheren Arbeitsbedingungen, der gelinge immer öfter nicht mehr. An dieser Stelle fühle man sich alleingelassen. Die Folge einer gesetzlich-finanziellen Unverhältnismäßigkeit und mangelnder Wertschätzung sei eine massive Überbelastung der Mitarbeitenden in den Einrichtungen vor Ort - nicht nur, aber auch in der Stiftung Scheuern. Schmitt brachte die Situation auf den Punkt: „Das Helfen-Wollen wird zum Erlebnis des nicht Helfen-Könnens.“ Die Politik nehme den selbst postulierten und gesetzlich verabschiedeten Anspruch, Menschen mit Behinderung personenzentriert fördern zu wollen, nicht ernst und schaffe kein Arbeitsklima, dass es den Arbeitnehmer*innen der Behindertenhilfe möglich mache, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Damit zeitige dies ein Zu-Kurz-Kommen der Menschen mit Behinderung. „Menschen mit Behinderung, das sind die Leidtragenden!“, schlussfolgerte Schmitt. In drastischen Worten beschrieb sie den drohenden „Kollaps“. Ihre Forderung sei, endlich eine sozialpolitische und gesellschaftliche Wertschätzung der Betroffenen wie auch der sie begleitenden Arbeitnehmer*innen in den Berufen der Eingliederungshilfe zu schaffen: „Und das bitte sofort. Wir haben keine Zeit mehr!“. Auch Biesgen vermisst nach wie vor den „Wumms“, den nicht nur er sich wie von Bundeskanzler Scholz für andere Zusammenhänge formuliert, nun auch endlich für die Eingliederungshilfe wünsche.

Nach seiner Vision für die Eingliederungshilfe im Rhein-Lahn-Kreis gefragt, brachte auch Landrat Jörg Denninghoff in seinem Impulsbeitrag den gesetzlichen Rahmen ins Spiel: „Wir möchten die Wirkkraft des BTHGs verstärken“. Dazu sei in der Kreisverwaltung mehr Personal eingestellt und geschult worden, man setze auf Teamarbeit, um Hand in Hand für Menschen mit Behinderung zu beraten und zu arbeiten.

Zugleich gab es bei aller Kritik auch viele gute Neuigkeiten und positive Bewertungen von Geleistetem. Gerd Biesgen und Judith Bechstedt, Fachbereichsleiterin Wohnen, nannten einige Beispiele: So konnten trotz aller Corona-Widrigkeiten alle Betreuungs- und Beschäftigungsangebote weiterlaufen. Dies sei zu allererst dem Engagement und der Motivation der Mitarbeitenden zu verdanken. Mit lautem Applaus wertschätzten die Betreuer*innen diesen Einsatz. In einer Art Jahresrückblick auf 2022 stellten Biesgen und Bechstedt zukunftsweisende Projekte vor: so der Kauf des Grundstücks in der Sebastianusstraße in Lahnstein, der Bezug des Wohnhauses in Montabaur zum 1. Dezember 2022 in Verbindung mit einem Testbetrieb für familienfreundliche Arbeitszeiten, der fast fertige Mühlbachpark, die gelingenden Anstrengungen zum Energiesparen und der Ausbau der Energiegewinnung durch Photovoltaikanlagen.

Auch Werkstattleiter Jörg Bremser zog eine positive Bilanz des letzten Wirtschaftsjahrs in den Werkstätten: die Auftragslage sei trotz Corona stabil gut geblieben, die Betriebe der Region zeigten sich nach wie vor offen für die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung und auch für das Einrichten von Außenarbeitsplätzen. Die Qualifizierung von Beschäftigten und Mitarbeitenden schreite weiter gut voran. 40 Jahre nach dem damaligen Neubau der Langauer Mühle sind die notwendige gewordenen Sanierungen beim Brandschutz, den Sanitäranlagen und der Barrierefreiheit abgeschlossen und die Werkstätten damit gut aufgestellt. Nun können Menschen mit höherem Pflegebedarf besser beschäftigt werden. Insbesondere die Beschäftigten haben sich jedoch über das von ihnen selbst renovierte Mühlrad, das Herzstück ihrer Werkstatt, gefreut.

Nicht zuletzt stand noch die Wahl des Betreuerrats an. Das Gremium ist Stimme der gesetzlichen Betreuer und Angehörigen gegenüber der Stiftungsleitung. Die geübte konstruktive Zusammenarbeit mit der Stiftung zugunsten von Menschen mit Behinderung verantworten nun in den nächsten vier Jahren Lothar Breitenbach, Gerd Daniel, Ellen Hellwig, Eva Maria Heuser, Ulrich Memmler, Annedore Müller, Peter Schleenbecker, Dr. Elisabeth Schmitt, Susanne Völker und Matthias Wolfsgruber.