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Recherche zu "Euthanasie"-Verbrechen: Archiv der Stiftung Scheuern ist Fundgrube für Historikerinnen


Eine Fundgrube ist das Archiv der Stiftung Scheuern für Historiker, die zur Geschichte der Pflege- und Heilanstalten und besonders zu den „Euthanasie“-Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus forschen.

„Hier gibt es noch viele Dokumente, die anderswo nicht mehr existieren, weil sie vor Ende des Zweiten Weltkriegs vernichtet worden sind“, sagt Lisa Caspari. Die pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Hadamar sowie Franziska Schmidt, Ausstellungsassistenz in Hadamar und dort mit der geplanten Neugestaltung der Ausstellung betraut, haben jetzt in Nassau zwei lange Tage in Hauptbüchern, Prozessakten, Bewohnerakten, Fotoalben und mehr aus den 1940er-Jahren recherchiert. Einige Erkenntnisse werden Mitte September in einen Vortrag von Franziska Schmidt einfließen, den sie in Marburg im Rahmen einer Tagung zu den „Zwischenanstalten“ in der NS-Zeit halten wird. Ihr Thema: „Krankenmord im Dienst des wissenschaftlichen Fortschritts? Die Zwischenanstalten als Orte medizinischer Forschung“.

Franziska Schmidt beschäftigt sich hauptsächlich mit der Zeit von 1942 bis 1945, also der Phase der „Dezentralen Euthanasie“. In dieser Zeit wurden im Deutschen Reich psychisch Erkrankte und Menschen mit Behinderung jeden Alters durch überdosierte Medikamente, Mangelernährung und extreme Vernachlässigung in zahlreichen psychiatrischen Einrichtungen ermordet. Hadamar entwickelte sich in dieser Zeit zu einem der zentralen Tötungsorte. Viele Menschen wurden aus den „Zwischenanstalten“, zu denen auch Scheuern gehörte, nach Hadamar verbracht und getötet. Auch in den „Zwischenanstalten“ selbst stieg die Sterblichkeit aufgrund von Vernachlässigung und unzureichender Versorgung deutlich an, in einigen wurden Menschen gezielt getötet. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind in Scheuern keine Morde geschehen. Dennoch sind auch dort Menschen durch Entwurzelung, Vernachlässigung und Unterversorgung zu Tode gekommen.

Bei der Recherche im Archiv der Stiftung Scheuern haben Franziska Schmidt und Lisa Caspari vor allem nach Hinweisen zum Verhältnis der Anstalten untereinander gesucht, für die der Bezirksverband Hessen-Nassau verantwortlich war. Neben Hadamar waren dies die „Zwischenanstalten“ Scheuern, Herborn, Idstein (Kalmenhof), Eltville (Eichberg) und Weilmünster. Wann wurden wie viele Menschen in die Tötungsanstalt verlegt? Wer war in die Entscheidungen eingebunden? Was waren mögliche Auslöser, eine größere Zahl von Menschen nach Hadamar zu transportieren?

Einen weiteren Schwerpunkt hat sich Lisa Caspari für den nächsten Besuch in der Stiftung Scheuern vorgenommen. Sie interessiert sich dafür, wie Kinder und Jugendliche in Heilerziehungsanstalten früher – vor und zur Zeit des Nationalsozialismus – beschult wurden. Welche Unterrichtsmaterialien wurden verwendet? Wie lief die Beschulung ab? Wann und warum veränderte sich diese? Lisa Caspari will aufzeigen, wie das Leben der Kinder in den Heilerziehungsanstalten aussah. Sie entwickelt zurzeit das Ausstellungskonzept für den geplanten Gedenk- und Lernort in der ehemaligen Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein. Dort soll vor allem über die Verbrechen im Rahmen der Kinder-„Euthanasie“ aufgeklärt und an deren Opfer erinnert werden.

Weitere Informationen zu den "Euthanasie"-Verbrechen in Hadamar und die Rolle der „Zwischenanstalten“ gibt es im Internet unter www.gedenkstaette-hadamar.de

Recherche im Archiv (von rechts): Lisa Caspari und Franziska Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte Hadamar, sowie Manuela Nörtershäuser von der Stabsstelle Kommunikation und Fundraising der Stiftung Scheuern sichten Akten und Unterlagen aus den 1940er-Jahren.