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Neue Gesetzgebung führt hunderte Betreuer und Angehörige zusammen


Teilweise waren sie über 200 Kilometer weit angereist: über 300 Menschen, die sich in der Nassauer Stadthalle am 26. Oktober 2019 informieren wollten, was das stufenweise umzusetzende Bundesteilhabegesetz für ihre Betreuten, alles Menschen mit einer Behinderung, bedeutet. Gespannt lauschten sie den Ausführungen von Wolfgang Grüttner, Sebastian Becker und Svenja Schwarz-Bremer, den Experten der Stiftung Scheuern für dieses Thema.

Dass das Thema Bundesteilhabegesetz, kurz BTHG, vielen Angehörigen und gesetzlich bestellten Betreuern unter den Nägeln brennt, war unübersehbar. Erstmals musste der von der Stiftung Scheuern jährlich angebotene Fachtag aufgrund seiner Anmeldezahlen in die Stadthalle umziehen. Christa Schienmann, Vorsitzende der Bewohnervertretung, begrüßte die Anwesenden mit nicht nur ihrer Sicht auf die Notwendigkeit der Neuerungen durch das BTHG: „Menschen mit Behinderung wollen ihre Träume leben können.“ Das erhoffen sich sie und ihre Kollegen aus der Vertretung der Werkstattbeschäftigten, wie auch Florin Abel, deren stellvertretender Vorsitzender. Er ergänzte noch kritisch, dass es auch ein Stück Inklusion sei, wenn endlich einmal die notwendigen Dokumente, die es in allen Planungs- und Betreuungsverfahren rund um einen Menschen mit Behinderung gebe, auch in leichte Sprache übertragen würden.

Der theologische Vorstand der Stiftung Scheuern, Pfarrer Gerd Biesgen, Scheuern freute sich, einem voll besetzten Haus in seinem Jahresbericht gelungene Projekte, endlich verbrieftes Fortschreiten von Bauvorhaben in Lahnstein und Montabaur, aber auch Kritisches und noch Ausstehendes darlegen zu können. So berichtete er von gelungenen Renovierungsprojekten wie dem Alten Haus, dem Haus am Wald, dem Haus im Neuzebachweg, die 2019 abgeschlossen werden konnten. Erfreulich sei auch vorliegende Bewilligung für den Bau eines Wohnhauses in Lahnstein oder der Rückblick auf 10 Jahre Integra. Unter diesem Namen werden alle Dienstleistungen für Menschen mit erworbener Hirnschädigung gefasst. Ferne habe sich die Dienstplanung verbessert, Mitarbeitende haben sich verstärkt qualifiziert und nicht zuletzt entwickele sich die Zusammenarbeit mit den Anwohnern im Ortsteil Scheuern sehr positiv. Kritisch merkte Biesgen an, dass der Fachkräftemangel auch vor der Stiftung Scheuern nicht Halt mache. Überleitend zum bestimmenden Thema des Tages verwies er auf die Unklarheiten bei der Umsetzung des BTHG. Für vieles gebe es nach wie vor noch keine konkreten Aussagen vom Land, weswegen manche Vorgänge länger bis zu ihrem Abschluss brauchen. Dies sei auch der Grund, warum die erwartete Post mit den Unterlagen zu verschiedenen Antragstellungen für beispielsweise die Grundsicherung für Menschen mit Behinderung noch nicht verschickt ist. Aber die Stiftung tue ihr Möglichstes, den Betreuern und damit den betroffenen Menschen mit Behinderung zu helfen. In diesem Zusammenhang dankte er allen Betreuern für die Übernahme der Verantwortung und ihr Engagement.

Dr. Elisabeth Schmitt als Vorsitzende des Betreuerrats schloss sich dem an und machte den Betreuern Mut, ihre Betreuung fortzuführen und nicht vor den Hürden des BTHG aufzugeben. „Wir schaffen das! Denn wenn wir nicht weitermachen, welche Stimme haben Menschen mit Behinderung dann noch? Wir wollten für unsere Betreuten ein Wunsch- und Wahlrecht und mehr Selbstbestimmung. Jetzt sollten wir uns dafür einsetzen, dass sie es auch umsetzen können. Das geht mit unserer Hilfe.“ Insofern sehe sie die Gemeinschaft der Angehörigen und gesetzlichen Betreuer als eine Initiative, die sich gegenseitig helfen und auch mit der Stiftung gemeinsam Licht ins Dunkel des Gesetzesdschungels bringen könne: „Das Bundesteilhabegesetz macht aus der Gemeinschaft der Betreuer zusammen mit der Stiftung eine Selbsthilfegruppe!“

Zum aktuellen Stand der Umsetzung des BTHGs in der Stiftung Scheuern informierten Wolfgang Grüttner und Sebastian Becker vom Referat Planung und Entwicklung, sowie Svenja Schwarz-Bremer, kommissarische Leiterin des Referats Individuelle Dienstleistungen. Die drei zeigten auf, was bisher getan wurde – beispielsweise die Errechnung aller Kosten seitens der Stiftung, die für die Beantragung von Grundsicherung wichtig sind -, was für Betreuer nun ansteht und welche Unterlagen sie für das Antragswesen brauchen. Außerdem beantworteten sie kompetent und gut verständlich die Fragen der Zuhörer. Diese drehten sich vor allem um auf die Grundsicherung eventuell (nicht) anzurechnende Zahlungen wie Kindergeld, Werkstattlöhne, Blindengeld, Pflegegeld. Intensiv gab sich das Plenum gegenseitig Auskunft zu Zahlungsmodalitäten und Konten für die betreuten Menschen, denn diese brauchen nun zwingend ein eigenes Girokonto, um die an sie ausgezahlten Leistungen empfangen zu können. Das wiederum wird nicht bei allen Banken gleich gehandhabt. Auch die unterschiedlichen Berechnungsmodelle für die Verpflegung in Abhängigkeit davon, ob jemand in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet, ob sich jemand via Sonde oder einer anderen Sonderform ernährt, wurden dargestellt.

Nachmittags machten die Anwesenden vom Markt der Möglichkeiten Gebrauch. Hier wurde zusätzlich noch BTHG-Beratung in Kleingruppen angeboten. Einzelberatung leisteten die Vertreterinnen der Beratungsstelle der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabe Beratung, kurz EUTB, der Inklusa gGmbH aus Bad Ems. Der Bereich Wohnen und Integra stellten sich vor. Viele Betreuer informierten sich zu den Veränderungen, die das Bundesteilhabegesetz auch für den Bereich Bildung-Arbeit-Teilhabe mit sich bringt. Intensiven Gesprächsbedarf konstatierten die ProDeMa-Fachkräfte, die eingehend über vorbeugende Maßnahmen informierten, damit es weder verbal noch körperlich zur Eskalation kommt, wenn Meinungsverschiedenheiten bestehen. Am Stand des Case Managements informierte das Team des Referats Individuelle Dienstleistungen, wie Fachkräfte aus dem Wohnen, am Arbeitsplatz, in der Beratung und den unterstützenden Prozessen, Beteiligte und Dienstleister außerhalb der Stiftung Scheuern zum Wohle von Menschen mit Behinderung nach deren Wünschen am besten zusammenspielen. Auch dies ist ein Teil des Gesamtplanverfahrens im BTHG.

Sicher ein Stück beruhigter, klarer sehend und mit genommener Angst vor diesem ‚Gesetzesungetüm‘, wie viele Angehörige und gesetzliche Betreuer die Neuerungen des BTHG im Vorfeld empfanden, kehrten sie nach der gelungenen Veranstaltung nach Hause zurück, wissend, dass die nun gehörten Informationen zunächst für eine Übergangsfrist von drei Jahren gelten. Ganz ausgegoren sei die Sache mit dem BTHG und seiner Umsetzung anscheinend seitens des Gesetzgebers noch nicht, oder warum werde gerade auf Bundesebene über ein „Reparaturgesetz“ zum BTHG oder ein „Angehörigenentlastungsgesetz“ in Rheinland-Pfalz diskutiert, gab Biesgen zu bedenken. Der Prozess des BTHG wird alle Beteiligten noch auf Trab halten, aber, so Schmitt: „So seltsam es doch ist, dieses Gesetzesungetüm, es bringt uns zusammen für Menschen mit Behinderung.“